OPTIMIERUNG
als Thema des 27. DGfE-Kongresses
vom 15.-18. März 2020 in Köln
OPTIMIERUNG gehört zu den zentralen Signaturen der Gegenwart, die viele gesellschaftliche Bereiche bestimmt, etwa die Entwicklung technischer Infrastrukturen, die Funktionalität von Institutionen oder die Verbesserung menschlicher Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig ist OPTIMIERUNG in verschiedenen begrifflichen Spielarten zu einem bedeutsamen Topos der Erziehungswissenschaft geworden, der eine Fülle theoretischer und praktisch bedeutsamer Fragen aufwirft. Diese betreffen beispielsweise die Bearbeitung individueller und kultureller Ausgangslagen von Bildungsprozessen, die politischen und gesellschaftlichen Ziele pädagogischen Handelns sowie die dafür eingesetzten Mittel, die Weiterentwicklung des Bildungssystems, die Nutzung vorhandener Ressourcen oder die erziehungswissenschaftliche Überprüfung pädagogischer Sachverhalte.
Pädagogische Theorien und Praktiken sind in der Moderne mit unterschiedlichen Optimierungsdiskursen und gesellschaftlich sanktionierten Optimierungspraktiken konfrontiert, die (wissenschaftliche) Pädagog*innen nicht unberührt lassen. Die Optimierungsdispositive sickern gleichermaßen in die Pädagogik wie die Erziehungswissenschaft ein und setzen einen Transformationsprozess des Pädagogischen in Gang. Es setzt sich die optimistische Idee einer auf individuellen und kollektiven Praktiken aufruhenden, im Prinzip unbegrenzten Steigerungs- und Entwicklungsfähigkeit (von Menschen, Institutionen, Gesellschaften etc.) durch. OPTIMIERUNG ist aber nicht nur ein positiv unterfütterter Begriff, der im pädagogischen Denken und Handeln etabliert ist, sondern selbst Gegenstand der Kritik. Diese weist darauf hin, dass ein einseitiger Fokus auf OPTIMIERUNG Grenzen der Verbesserbarkeit und des pädagogisch Machbaren, ja auch die Möglichkeiten des Scheiterns und der Verschlechterung aus dem Blick rücken würde.
Diese wenigen Hinweise zeigen, dass OPTIMIERUNG ein erziehungswissenschaftliches Querschnittsthema ist, das in viele zentrale Problemfelder in den unterschiedlichen pädagogischen Institutionen und Teildisziplinen hineinreicht.
Sie ist etwa
- eine anthropologische Figur, wie sie beispielsweise im erziehungswissenschaftlichen Begriff der Perfektibilität, oder, ökonomisch gewendet, in den pädagogischen Debatten um human ressources und Resilienz anklingt;
- eine organisationale und institutionelle Praxis, die die möglichst umfangreiche und reibungsarme Nutzung verfügbarer Ressourcen für die Erreichung von Zielen bezeichnet, beispielsweise die Verbesserung organisatorischer und struktureller Aspekte von Arbeitsabläufen mit dem Ziel der Maximierung von Produktivkräften bzw. Produktivität (Effizienz und Effektivität durch neue Medien, Digitalisierung, Flexibilisierung des Lernens, mobiles Lernen);
- eine pädagogisch-didaktische Strategie, die auf die Verbesserung oder Maximierung des messbaren Outputs institutionalisierter Lehr- und Lernprozesse abzielt. Diese Maximierung betrifft auch die Professionalisierung der Pädagog*innen selbst. Hierbei lässt sich etwa an forschendes oder mediengestütztes Lernen denken;
- ein erziehungswissenschaftliches Programm, das auf eine methodische und methodologische Verbesserung in Theorien und Begriffen, Erhebungs- und Messmethoden sowie in Auswertungsverfahren abhebt (vgl. evidenzbasierte Forschung, Design-based-Research);
- eine Darstellungs- und Bewertungsmatrix erziehungswissenschaftlicher Folgenabschätzung und Risikoforschung, die die positiven wie negativen Effekte pädagogischer Maßnahmen und Entwicklungen festhält und beurteilt. Hierbei geht es um die Haupt- und Nebenfolgen pädagogischer Verbesserungsmaßnahmen, die u.a. auch durch Beobachtungen zweiter Ordnung generiert werden können;
- eine Leitformel für pädagogisches Denken und Handeln, das an zentralen Zielen moderner bzw. spätmoderner Gesellschaften orientiert ist, wie z.B. Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Inklusion, Selbstständigkeit, Fortschritt etc.
OPTIMIERUNG ist in der Erziehungswissenschaft ein noch nicht ausreichend diskutierter Topos mit einer Fülle von inhärenten Spannungen und Problematiken, der vielfach pädagogisch unhinterfragt und implizit mitgedacht wird. Es handelt sich um einen häufig ungebrochen positiv unterfütterten Begriff, der im Mainstream pädagogischen Denkens und Handels etabliert erscheint, der aber auch als Begriff der Kritik heftige Kontroversen auslöst. Doch ohne eine Auseinandersetzung mit der Idee der OPTIMIERUNG im Feld der Bildung lässt sich eine moderne Erziehungswissenschaft wohl nicht konzipieren.